Anlässlich des 20-jährigen Bestehens von BIG ART laden wir zu einem Spaziergang zu Kunstwerken an Universitätsgebäuden in Wien:
Die Kunst, Kunst zu betrachten.
Ein Spaziergang von Christian Seiler
Es herrscht reges Kommen und Gehen im Foyer des University of Vienna Biology Buildings (1) in St. Marx. Vorlesungen beginnen und enden, junge Menschen mit Rucksäcken und Laptops unter dem Arm eilen durch die Gänge. Manche halten inne und setzen sich auf das kniehohe Mäuerchen, das ein beleuchtetes Glashaus vom inneruniversitären Treiben trennt. Das Mäuerchen ist mit weißen Fliesen verziert, auf denen blaue, monochrome Abbildungen von Lebewesen appliziert sind, Insekten, Zellgebilde, Pflanzen.
Die blauen Abbildungen gehören, zurückhaltend genug, zu dem Vivarium St. Marx, das der amerikanische Künstler Mark Dion 2021 für den Eingangsbereich des Universitätsgebäudes geschaffen hat. Dion, ein passionierter Sammler, verknüpft mit Vorliebe Objekte und Fundstücke zu künstlerischen Installationen. Diese Methode hat er auch hier gewählt. Dion ließ einen Baumstamm, der auf dem Baugrund des Biologiezentrums gestanden war, ins Innere des neuen Hauses bewegen, wo er nun, vor aller Augen, seinem Schicksal überlassen ist. Der Baum ist geschlagen, aber gleichzeitig nährt er ein neues Ökosystem und ist Lebensgrundlage für eine Vielzahl an Pflanzen. Er liegt hier, zersetzt und verändert sich, als Metapher für den Gegenstand, der die Menschen in diesem Haus auf die eine oder andere Weise bewegt.

University of Vienna Biology Building
Djerassiplatz 1, 1030 Wien
Mark Dion Vivarium St. Marx, 2021
Ich verlasse das Biologiezentrum, das die Berliner Architekten Karsten Liebner und Marcel Backhaus entwarfen und dessen Fassade sie großzügig mit 400.000 Klinkersteinen verkleiden ließen. Vor mir liegt ein Spaziergang quer durch Wien, um weitere Kunst am Universitätsgebäuden der BIG zu besuchen. Ich biege in den Rennweg ein und gehe stadteinwärts, vorbei an historischen Anlagen und abgewirtschafteten Wohnhäusern. Erst hinter der S-Bahn-Station „Rennweg“ klart die Stimmung ein bisschen auf, rechts das Botschaftsviertel, links die Gärten des Belvedere.
Über den Schwarzenbergplatz und durch den Resselpark spaziere ich Richtung Technische Universität. Das ehemalige k.k. Polytechnische Institut am Karlsplatz lasse ich hinter mir, mein nächstes Ziel ist das monumentale Institutsgebäude am Campus Freihaus (2), unverkennbar aus den Siebzigern, hellgrün, komplex und burgartig, konzipiert von den Architekten Alexander Marchart und Roland Moebius. Auf dem vorspringenden Flachdach über der Wiedner Hauptstraße steht die bunte Säulenformation des Bildhauers Roland Goeschl aus dem Jahr 1988, ein Totempfahl der Primärfarben Rot, Gelb und Blau. Die individuellen Quader sind kühn und elegant übereinandergestapelt. Die Säule ist ein guter Grund, auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu stehen und mit offenem Mund ihre heitere, optimistische Ausstrahlung einzuatmen.
Ein Echo von Goeschls Säule ist übrigens beim Durchgang zwischen TU und TU-Bibliothek zu sehen, wo auf einem zurückgesetzten Verbindungsgang die Wandarbeit „Flächensprung“ desselben Künstlers zu sehen ist, geometrische Formen in den bereits zitierten Grundfarben, streng und präzis verschachtelt. Von hier führt der Weg in den Schatten der Uni-Arkaden, wo sich eine weitere Kostbarkeit versteckt: die Menschentorsi des österreichischen Bildhauers Joannis Avramidis aus den Jahren 1983/93. Die hohen, schlanken Figuren aus Bronze ergeben miteinander ein beiläufiges Ganzes, eine Andeutung der Auflösung des Individuellen in der kollektiven Form.

Technische Universität Wien, Campus Freihaus
Wiedner Hauptstraße 8-10, 1040 Wien
Roland Göschl Säulenformation, 1988
Joannis Avramidis Menschentorsi, 1983/93
Durch den Bärenmühldurchgang gehe ich weiter zum Bug des Naschmarkts, von dort den Getreidemarkt hinauf bis zu dem Ort, der mich demütig, aber auch kryptisch, empfängt. Der polygone Ziegelbau, der das Audimax der Technischen Universität am Campus Getreidemarkt (3) beherbergt, wirkt angesichts des dahinter in den Himmel wachsenden Hochhauskomplexes schlicht und aus der Zeit gefallen, befände sich nicht am oberen Saum des Gebäudes das erstaunliche Fassadenrelief des Künstlers Kurt Ohnsorg aus dem Jahr 1970. Der Fries ist aus 760 weißen Porzellanstäben zusammengestellt, wie eine verschlüsselte Botschaft, ein ausgeklügelter Code, eine enigmatische Keilschrift. Ich umrunde das Haus, zweimal, dreimal, nach Anhaltspunkten suchend, finde aber in Ohnsorgs Arbeit nur pure, wohltuende Ästhetik.

Technische Universität Wien, Campus Getreidemarkt
Getreidemarkt 9 / Lehárgasse 2, 1060 Wien
Kurt Ohnsorg Fassadenrelief, 1970
Ich gehe durch das Museumsquartier, dann die Reichsratsstraße entlang, am Parlament vorbei, um über die große Rampe in den Arkadenhof der Universität Wien (4) zu gelangen. Es scheint die Sonne, hier fängt sich die Wärme besonders gut. Aufmerksam betrachte ich die überdimensionale Schattenfigur, die Iris Andraschek im Jahr 2009 in den Boden des Hofes eingelassen hat. Es ist ein energischer Protest gegen die Tatsache, dass unter den Arkaden jahrhundertelang nur die Leistung männlicher Wissenschaftler, aufgereiht als steinerne Büsten, geehrt wurden, während eine Frauenfigur als „Muse“ in die Mitte des Hofes gestellt worden war. Sinnfälliger Titel von Andrascheks Installation: Der Muse reicht’s.

Arkadenhof der Universität Wien
Universitätsring 1, 1010 Wien
Iris Andraschek Der Muse reicht’s, 2009
Ein bisschen noch lasse ich die Sonne wirken, dann gehe ich Richtung Altes AKH, vorbei an den bereits als Skeletten dastehenden neuen U-Bahnstationen der U5, durchquere den Hof 1 der alten Krankenhausanlage, um zum MedUni Campus (5) in der Mariannengasse vorzustoßen. Hier ist Baustelle, und noch ist nicht ganz genau zu erahnen, was sich gerade hinter den bereits vollendeten Fassaden formiert.
Zwei große, künstlerische Interventionen entstehen hier. Einmal Toni Schmales Arbeit Handgriffe, die in Anlehnung an klassische Skulpturen Körperfragmente in auch medizinisch zu lesenden Zusammenhängen neu sortiert. So weist Schmale subtil, wenn auch massiv, nämlich in Beton gegossen, auf das Verhältnis zwischen Individuum und Wissenschaft hin.
Die andere Arbeit stammt von Thomas Feuerstein und trägt den beziehungsreichen Titel Metabolische Landschaft. Dabei handelt es sich um ein dreißig Meter langes Wand-Panorama in der Mensa des MedUni Campus. Es wird auch von der Straße wahrgenommen werden können und auf ausgeklügelte Weise Forschungsfragen mit der Ästhetik des menschlichen Inneren verknüpfen.

MedUni Campus Mariannengasse
Spitalgasse 5, 1090 Wien
Toni Schmale Handgriffe, geplante Fertigstellung 2027
Thomas Feuerstein Metabolische Landschaft, geplante Fertigstellung 2027
Von hier mache ich mich auf meine letzte Etappe, einen beschaulichen Spaziergang durch Währing, Martinstraße und Gentzgasse stadtauswärts, am Sternwartepark vorbei und quer durch den Türkenschanzpark. Der Verkehr lässt nach. Die Häuser haben plötzlich Gärten und schmiedeeiserne Zäune.
Nach einer knappen Stunde komme ich bei der Universität für Bodenkultur, heute BOKU University (6) an, konkret dem Wilhelm-Exner-Haus an der Peter-Jordan-Straße. Das prachtvolle Haus war vor mehr als hundert Jahren als Heil- und Pflegeanstalt errichtet worden und gehört seit 1960 zur BOKU.
Der WALK OF INSECTS, den der Künstler und Umweltaktivist Edgar Honetschläger 2023 hier realisiert hat, befindet sich direkt vor dem Haupteingang. Auf dreizehn Granitplatten wirbt Honetschläger poetisch um Empathie für Insekten. In Summe ergeben die Botschaften ein „Insektenmanifest“, das der Künstler gemeinsam mit der Entomologin Dominique Zimmermann und Universitätsangehörigen formuliert hat. Der wesentliche Bestandteil der Installation ist allerdings nicht zu sehen: ein Grundstück in Niederösterreich, das zur „Non Human Zone“ erklärt wurde. Keine Menschen erwünscht, nur Vögel, Insekten und andere Lebewesen. Die Sonne scheint noch immer, und ein paar Insekten feiern mit ihren Tänzen die Umgebung, die ihnen zugetan ist. Ich bin am Ziel.

BOKU University, Wilhelm-Exner-Haus
Peter-Jordan-Straße 82, 1190 Wien
Edgar Honetschläger WALK OF INSECTS, 2023