Wir zeigen Kunst an Innsbrucks Universitäts- und Schulgebäuden
Museumsbesuch im öffentlichen Raum
Ein Spaziergang von Christian Seiler
Ich stehe vor dem Ágnes-Heller-Haus (1) und staune. Das Portal, das Peter Sandbichler für den Neubau neben dem Hauptgebäude der Innsbrucker Universität geschaffen hat, wirkt wie eine Schleuse in eine neue, geheimnisvolle Dimension. Auf einer Fläche von 120 Quadratmetern hat der Bildhauer Pyramiden mit rautenförmigem Grundriss in den Eingangsbogen gefaltet, keine wie die andere, alle einer bestechenden, inneren Ordnung folgend.
Sandbichler bezieht sich mit seiner Arbeit auf den Physiker Douglas R. Hofstadter. Es braucht aber keinen theoretischen Überbau, um sich in dem scharfkantig aus Beton gestalteten Muster zu verlieren, seine immense Sinnlichkeit zu erfassen und sich von der Präsenz des selbstbewussten Werks inspirieren, verwirren, aber auch stärken zu lassen.

Ágnes-Heller-Haus der Universität Innsbruck
Innrain 52a, 6020 Innsbruck
Peter Sandbichler Portal, 2023
Sandbichlers wundervolle Installation ist die erste Station meines Spaziergangs durch Innsbruck, der eine Art Museumsbesuch an öffentlichen Orten sein wird. Konkret: Ich besuche künstlerische Interventionen an Bauprojekten der Bundesimmobiliengesellschaft. Die jüngeren Arbeiten entstammen der 2005 ins Leben gerufenen Kunstinitiative BIG ART; es gibt aber auch zahlreiche Werke älteren Datums zu entdecken, die die BIG in ihren Häusern betreut.
Das Ágnes-Heller-Haus, entworfen von mohr niklas architekten, ist der jüngste Zuwachs zum Innsbrucker Universitätscampus, ein Neubau für Lehre, Forschung und Verwaltung, dessen skulpturales Stiegenhaus durchaus selbst als Kunstwerk begriffen werden kann. Und da habe ich noch kein Wort über das vom Aktionskünstler Wolfgang Flatz umgedeutete Ehrenmal für Kriegsgefallene vor der benachbarten Hauptuni verloren: Flatz hat die von einem überdimensionalen Adler aus Kupfer überragten Begriffe „Ehre“, „Freiheit“ und „Vaterland“ mit roter Farbe in Frage gestellt: „Welche Ehre? Welche Freiheit? Welches Vaterland?“ Auch diese Fragen nehme ich mit auf den Weg.
An der machtvollen Fassade des Hauptgebäudes vorbei gehe ich in Richtung GEIWI-Turm. Die Abkürzung steht für „Geisteswissenschaften“, das Gebäude stammt aus dem Jahr 1978. Man kann der Architektur und ihrer Umgebung ansehen, dass eine offenere, klimataugliche Gestaltung damals noch keine Priorität war. Derzeit wird an entsprechenden Verbesserungen gearbeitet.
Im Erdgeschoß des Hörsaaltrakts (2), zwischen Bruno-Sander-Haus und der Basis des GEIWI-Turms, staune ich wieder. Das Wandmosaik, das der Künstler Hubert Schmalix hier angebracht hat, ist ein kleines Wunder. Es erzählt, dreieinhalb Meter hoch, auf einer Länge von 62 Metern unzählige Geschichten, von Leidenschaft, Schmerz und Vergänglichkeit, gestaltet in mehr als 80 Rottönen, die Schmalix mit dem italienischen Mosaikspezialisten Giovanni Travisanutto an der Wand angebracht hat. Ich gehe auf und ab, lasse die Aura des Werks wirken, versenke mich in seine Details, freue mich an der Beziehungswelt, die entsteht, wenn die Studierenden an den Wänden lehnen, unter den Motiven sitzen, reden, lernen. Leben.

Hörsaaltrakt Universität Innsbruck
Innrain 52e, 6020 Innsbruck
Hubert Schmalix Wandmosaik, 1985 (adaptiert 2018)
Weiter gehe ich zur Universitäts- und Landesbibliothek (3), die gleich nebenan liegt. Zuerst betrachte ich die Installation On Stones der brasilianisch-österreichischen Künstlerin Georgia Creimer von außen. Sie hat Schneisen in die im Untergeschoß platzierten Bibliotheksflächen geschlagen und dort massive Findlingssteine hingesetzt. Die Felsen scheinen auf dem Boden seismische Schwingungen zu erzeugen. So lese ich jedenfalls die Muster, die Creimer dort in Schwarz-Weiß angebracht hat.
Später besichtige ich die Lichthöfe mit den Steinen auch vom Innenraum aus, wo sie im Tageslicht sie selbst sein dürfen, bemoost, von Pflänzchen geschmückt, auf eine selbstverständliche Weise erhaben. Sie symbolisieren verdichtete Zeit, so wie die Bibliothek das Wissen der Welt verdichtet, konzentriert, ruhig, unangefochten.

Universitäts- und Landesbibliothek Tirol
Innrain 52f, 6020 Innsbruck
Georgia Creimer On Stones, 2009
Ich folge der Peter-Mayr-Straße durch den Medizincampus, betrachte Gebäude aus allen jüngeren Architekturepochen, zwischen unscheinbar und brutalistisch, betrete schließlich das Institutsgebäude der Medizinischen Universität Innsbruck (4) in der Fritz-Pregl-Straße 3. Hier hängen im Stiegenhaus gleich zwei großflächige Wandarbeiten von Claudius Molling und August Stimpfl. Die abstrakten Werke aus den Siebzigerjahren – virtuos gegossene Aluminiumbahnen und gebrannte Keramiktafeln – haben nach der Sanierung des Gebäudes neue Plätze gefunden. Ich suche mir auf den Stiegen die besten Positionen, um die Formen wirken zu lassen.

Institutsgebäude der Medizinischen Universität Innsbruck
Fritz-Pregl-Straße 3, 6020 Innsbruck
August Stimpfl Wandarbeit, 1974 (adaptiert 2019)
Von hier spaziere ich wie auf einer Sightseeing-Tour durch die Innsbrucker Innenstadt, über Maria-Theresien-Straße und Burggraben zum Rennweg, vorbei am Tiroler Landestheater zum SOWI-Campus (5), in dessen Hof Lois Weinberger einen Wild Cube aufgestellt hat: „Das Sichtbare – die Vergitterung – ist als Einfriedung gedacht / für einen Raum / entstanden aus einer präzisen Achtlosigkeit dem gegenüber / was allgemein als Natur bezeichnet wird“, schreibt Weinberger über sein Werk, und ich betrachte und umkreise es, atme es ein, sehe den Bäumen zu, wie sie durch die Gitterstäbe und über sie hinaus wachsen, ihre Grenzen sprengen und Machtverhältnisse klar stellen. Auch hier, wie schon in der Unibibliothek, hat die Natur das letzte Wort.

SOWI Campus der Universität Innsbruck
Universitätsstraße 15, 6020 Innsbruck
Lois Weinberger Wild Cube, 1998/1999
Von hier ist es nicht weit zum BG/BRG Sillgasse (6), einer 2021 fertiggestellten Schule, mustergültig entworfen von SOLID architecture, hell, offen, transparent. Die Künstlerin Habima Fuchs hat auf allen Etagen mathematisch-geometrische Glasarbeiten installiert, die jedem Stockwerk eine Farbe und einen platonischen Körper zuordnen, Hexaeder, Ikosaeder, Tetraeder, Oktaeder und Dodekaeder. Als ich durch die Stockwerke gehe, kommt gerade die Sonne heraus und erzeugt am Boden bunte, ästhetische Muster, deren bestechende Harmonie kein Zufall ist, wie schon beim Portal von Peter Sandbichler.

BG/BRG Sillgasse
Sillgasse 10, 6020 Innsbruck
Habima Fuchs Comprising the Universe, 2021
So schließt sich der Kreis. Durch die Maximilianstraße wandere ich zurück zum Innrain, betrachte die angeschneite Nordkette und denke staunend darüber nach, ob ich meine Runde jetzt gleich wiederhole oder doch erst später.